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Predigt zum 24. Sonntag nach Pfingsten (2025) über den barmherzigen Samariter

Lk 8:41-56

Roman Bannack, Priester | Zugriffe: 34

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Liebe Brüder und Schwestern, heute hören wir wieder das Gleichnis des Erlösers vom barmherzigen Samariter – eines jener Gleichnisse, die sogar Menschen, die der Kirche fern sind, gut bekannt sind. Aber gerade wegen dieser Bekanntheit hören wir es vielleicht unaufmerksam, in der Annahme, wir hätten es bereits alles verstanden. Dabei spricht Christus hier über die Grundlage unseres Glaubens.

Alles beginnt mit einem Gesetzeslehrer – einem Mann, der die Heiligen Schriften gut kannte. Er tritt mit einer Frage über das ewige Leben an Christus heran. Der Herr verweist ihn an das Gesetz. Und die Antwort ist einwandfrei: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. Diese Worte stammen aus dem Deuteronomium und dem Levitikus. Der Herr bestätigt es: Du hast richtig geantwortet; tu das, und du wirst leben.

Doch der Gesetzeslehrer will sich rechtfertigen und fragt: Wer ist denn mein Nächster? In dieser Frage verbirgt sich bereits eine geistliche Krankheit. Er erkennt das Gebot der Liebe an, sucht aber nach Grenzen: Wem bin ich etwas schuldig? Wer gehört zu meinem Pflichtkreis? Und er tritt auch nicht mit Liebe an Christus heran, sondern mit der Absicht, Ihn zu versuchen; er kennt den Text des Gesetzes, geht aber an der lebendigen Liebe vorbei, als ob der Glaube nur durch richtige Worte gemessen würde, nicht durch die Tat.

Und auf diese Frage antwortet der Herr mit einem Gleichnis.

Ein Mensch geht von Jerusalem nach Jericho hinab, fällt unter die Räuber und liegt halb tot am Weg. Ein Priester kommt vorbei – er hilft nicht. Ein Levit kommt vorbei – und geht ebenfalls vorüber.

Der Priester und der Levit sind für die Zuhörer Christi nicht einfach „religiöse Menschen“, sondern eine erkennbare Ordnung: Zuerst geht ein Vertreter des priesterlichen Geschlechts Aarons vorbei – ein sehr enger Kreis von Eingeweihten; dann ein Vertreter des Stammes Levi – ebenfalls ein besonderer Stamm im Volk Israel, aber bereits eine breitere Bevölkerungsgruppe. Man würde logischerweise erwarten, dass als Nächstes ein einfacher Jude kommt. Doch der Herr führt eine völlig unerwartete Person ein – den Samariter: einen Fremden, Andersgläubigen, fast einen Feind.

Und diese unerwartete Wendung ist das Herzstück des Gleichnisses. Weder das Priestertum, noch die Kenntnis des Gesetzes, noch die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk an sich bewahren vor Gleichgültigkeit. Gerade diejenigen gehen vorüber, die eigentlich zu helfen verpflichtet gewesen wären. Es hilft stattdessen derjenige, der nach allen menschlichen Maßstäben das „Recht“ gehabt hätte, vorüberzugehen.

Der Prophet Hosea spricht im Namen Gottes: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Hos 6,6). Christus wiederholt diese Worte zweimal im Evangelium und erschließt uns heute ihre Bedeutung: Die Barmherzigkeit steht über der richtigen Erfüllung von Riten und über jedem „Recht“, vorüberzugehen.

Wir sind es gewohnt, uns mitunter mit dem Hilfsbedürftigen oder mit dem Samariter zu identifizieren – und das ist natürlich.

Doch das Gleichnis erlaubt uns nicht, es damit bewenden zu lassen. Heute fragt es einen jeden von uns: Wer warst du gestern auf deinem Weg? Derjenige, der vorüberging, beschäftigt mit deiner eigenen Rechtschaffenheit? Oder vielleicht warst du sogar derjenige, der jemanden verletzt und verwundet zurückgelassen hat – durch ein Wort, durch Schweigen, durch Verurteilung?

Der Herr beendet das Gleichnis nicht mit einer moralischen Schlussfolgerung. Er beendet es mit einer Frage, die an den Gesetzeslehrer und an jeden von uns gerichtet ist:

„Wer von diesen Dreien, meinst du, ist der Nächste dessen geworden, der unter die Räuber gefallen war?“

Und er zwingt den Gesetzeslehrer – und jeden von uns – selbst die Antwort auszusprechen: Der, der sich seiner erbarmt hat.

Daher endet das Gleichnis nicht. Es setzt sich jedes Mal fort, wenn jemand am Weg unseres Lebens liegt und wir uns entscheiden müssen, auf die andere Seite zu wechseln oder stehen zu bleiben.

Und in genau diesem Moment entscheidet sich, wessen Jünger wir sind: Jünger eines Gesetzes, die alles wissen und sich zu rechtfertigen verstehen, oder Jünger Dessen, der Selbst für uns zum Nächsten geworden ist, als Er zwischen zwei Räubern gekreuzigt wurde und nicht am Leid auch nur eines einzigen von uns vorüberging.

Amen.

Geschrieben von Roman Bannack, Priester