Bauschluß, Frühjahr 1874
Die enger werdenden Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in der Mitte des vorigen Jahrhunderts führten zu einem raschen Wachstum der Dresdner russischen Gemeinde und zu dem Entschluss, ein eigenes Kirchengebäude zu errichten. Der Dresdner Alexander Wollner, selbst russischer Abstammung, stiftete das Baugrundstück, die Mittel für den Bau - 5 20.000 Mark - wurden zu drei Vierteln vom Kaiserlichen Staatsrat Simeon von Wikulin, der Rest von der Gemeinde, von der kaiserlich-russischen Familie und vom Heiligen Synod in St. Petersburg erbracht.
In Anlehnung an die Moskauer Kirchenbauten des 17. Jahrhunderts wurde die Dresdner Kirche nach einem Projekt des deutschstämmigen kaiserlich-russischen Hofarchitekten Harald Julius von Bosse unter der Leitung des Dresdner Baumeisters Karl Robert Weißbach errichtet. Am 25. April 1872 konnte im Beisein des damaligen Dresdner Bürgermeisters Pfotenhauer die Grundsteinlegung erfolgen und nach einer zweijährigen Bauzeit wurde am 6. Juni 1874 die Kirche ihrer Bestimmung übergeben und geweiht.
Etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen, zwischen Hauptbahnhof und Universitätsgelände, bildet die Russisch-Orthodoxe Kirche einen reizvollen Kontrast zur übrigen Architekturlandschaft Dresdens. Der vielfach gegliederte Ziegelbau wurde außen mit Cottaer Sandstein verblendet.
Gesimse und Pilaster künden vom ornamentalen Reichtum dieser Kirche. Über der Vorkirche erhebt sich der 40 Meter hohe Glockenturm.
Die Inschrift lautet: "Baukelle, die zur Grundsteinlegung der Kirche 1872 genutzt wurde.“
Die Hauptkirche wird von 5 Türmen mit blauen Zwiebelkuppeln und vergoldeten russischen Kreuzen bekrönt, die Christus und die vier Evangelisten symbolisieren. Ein typisches Merkmal russischer Architektur sind je zwei Reihen von kielbogenartigen Ziergiebeln am Fuß der Türme, die Kokoschniki.
Wie alle orthodoxen Kirchen ist das Gebäude orientiert, d.h. in seiner Hauptachse nach dem Orient, nach Osten ausgerichtet. Das Gebäude ist in drei Hauptteile gegliedert: eine kleine Vorhalle, den eigentlichen Kirchenraum und den Altarraum, das Allerheiligste.
Über eine große Freitreppe und durch das Portal der Kirche gelangt der Besucher in eine kleine Vorhalle und anschließend in den Kirchenraum, zu dessen Seiten sich Apsiden öffnen. In der nördlichen Apsis, die für Gedenk- und Totenfeiern genutzt wird, befinden sich ein mit dem gekreuzigten Heiland bemaltes Holzkreuz und ein Sarkophag, der das Grab Christi symbolisiert. Die südliche Apsis ist der Standort des Chores während des orthodoxen Gottesdienstes.
Zeichnung der Außenansicht sowie Grundriss und Längsschnitt; Klick auf das jeweilige Bild für eine größere Ansicht!
Das Fehlen von Kirchengestühl - außer den älteren Gemeindemitgliedern nehmen die orthodoxen Gläubigen stehend am Gottesdienst teil, eine altkirchliche Tradition, der auch der Zar und der gesamte kaiserliche Hofstaat unterworfen waren, - ermöglicht einen wunderbaren Eindruck von der Schönheit des Raumes.
Mittelpunkt und Blickfang ist der Ikonostas (die Ikonenwand), welcher den Kirchenraum vom Allerheiligsten trennt. Er ist aus weißem Carrara-Marmor errichtet und enthält drei Türen, die in den Altarraum führen. Die zweiflüglige Haupttür in der Mitte - die Königspforte - ist mit reich vergoldeten Schnitzereien versehen und zeigt die Bildnisse der vier Evangelisten und die Verkündigung Marias. Durch diese Tür werden im Verlauf der Liturgie Leib und Blut Christi sowie das Heilige Evangelium getragen.
Die Anordnung der Ikonen folgt in allen orthodoxen Kirchen dem gleichen Schema: Rechts neben der Königspforte die Ikone des Erlösers, links das Bild der Gottesmutter. Die südliche Seitenpforte zeigt das Bildnis des Erzengels Gabriel, rechts daneben befindet sich die Ikone des Namenspatrons der Kirche, des Hl. Simeon vom wunderbaren Berge. Eine silberne bogenförmige Tafel erinnert an Simeon von Wikulin, den Stifter der Kirche.
Die obere Ikonenreihe enthält vier Brustbilder von Heiligen: links Nikolaus von Myra und Mitrophan von Woronesh, rechts der Apostel Petrus und Tichon von Sadonsk, dazwischen links das Symbol des Alten Testamentes, die Tafeln mit den Zehn Geboten, und rechts der Abendmahlskelch als Symbol des Neuen Testamentes. In der Mitte, über der Königspforte und dem Symbol des Heiligen Geistes, nimmt die Darstellung des Heiligen Abendmahles einen zentralen Platz ein. Alle diese Ikonen wurden von James Marshall (1838 - 1902), der auch die vier Ovalbilder im Deckenplafond und den Proszeniumsfries der Dresdner Semperoper gestaltete, auf Goldgrund gemalt.
Vor allen Hauptikonen sowie auf beiden Seiten des Pultes (Analoj) mit der jeweiligen Festtagsikone stehen bronzene Kandelaber, in denen die Gläubigen während des Gottesdienstes ihre Opferkerzen entzünden. Der Raum vor der Ikonenwand (Ambon) ist um drei Stufen erhöht und durch eine Balustrade aus weißem Marmor vvom übrigen Kirchenraum getrennt.
Das Allerheiligste, der Altarraum, wird nur von den männlichen Personen betreten, die im direkten Bezug zum Altardienst stehen. In der Mitte des Raumes befindet sich der reich mit Brokat verkleidete Altartisch (Prestol). Auf ihm steht - wie schon einst im Tempel von Jerusalem - der siebenarmige Leuchter, welcher hier die sieben christlichen Sakramente symbolisiert. Davor, in Form einer Kirche gestaltet, der silberne Tabernakel, in dem die Heiligen Gaben aufbewahrt werden. Auch das Antimins, ein symbolisches Leichentuch Christi mit religiösen Darstellungen, das prachtvoll gebundene Evangelium, das Segenskreuz und das Gefäß mit dem Salböl, dem Heiligen Myron, haben auf dem Altartisch ihren festen Platz. Links vom Altar befindet sich der Rüsttisch, auf welchem vor Beginn der Liturgie die Proskomedie ausgeführt wird, die Vorbereitung der Heiligen Gaben zur Feier der Eucharistie.
Zar Alexander II. (1818-1881) und seine Gattin, Zarin Maria Alexandrowna (1824-1880), geborene Prinzessin von Hessen-Darmsadt, Tochter des Herzogs Ludwig II.
Im Juni 1875 besuchte Alexander II. die Dresdner Kirche. Diesem Ereignis ist eine Gedenktafel gewidmet (Bild unten).
Die sich an den Altarraum zu beiden Seiten anschließenden Sakristeien dienen der Aufbewahrung der Ornate, der reichen liturgischen Gewänder. In ihnen finden sich auch verschiedene kirchliche Gerätschaften, die zumeist auf Spendengaben zurückgehen.
Die wechselvolle deutsche Geschichte ging auch an der Dresdner Russischen Kirche nicht vorüber, ohne tiefe Spuren zu hinterlassen. Während des 1. Weltkrieges wurden die 8 Kirchenglocken - die größte wog fast drei Tonnen - entfernt und für Kriegszwecke eingeschmolzen. Am Ende des 2. Weltkrieges wurden bei dem Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 glücklicherweise nur einige Teile der Kirche zerstört. Das mittlere Altarfenster, welches - ebenfalls von James Marshall gestaltet - die Auferstehung des Herrn darstellte, ging unwiederbringlich verloren. Die Haube des Glockenturmes und drei der fünf Kuppeln wurden zertrümmert, das Dach und Teile des Inventars brannten, und doch blieb das Kirchengebäude inmitten einer Trümmerwüste erhalten.
Vier Jahre, von 1948 bis 1952, dauerte die Beseitigung der Kriegsschäden. Durch das Geschenk eines katholischen Geistlichen aus Wilsdruff konnte 1973 das bis dahin fehlende Glockengeläut wieder ersetzt und 1976 durch vier weitere, in Apolda gegossene Glocken, vervollständigt werden. Durch Unterstützung des Sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, der Landeshauptstadt Dresden, der evangelischen und katholischen Kirche sowie vieler gesellschaftlicher und privater Spender konnte 1991 mit der umfassenden Rekonstruktion des Gebäudes begonnen werden. Heute erstrahlen die blauen Kuppeln und die vergoldeten Kreuze in neuem Glanz und weisen dem Besucher den Weg zu einem Kleinod der Stadt Dresden: der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Die "Allgemeine Illustrierte Zeitung", Stuttgart 1874, widmete einen Artikel der Einweihung der Dresdner Kirche mit einem Bild der Kirche. Gustav Rasch, ein Besucher des neuerbauten Gotteshauses schreibt: "...die Kirche hat eine ganz vorzügliche Akustik. Die Stimmen des trefflichen Sängerchores, den ich an einem Sonntag-Morgen hörte, klangen so harmonisch und überaus wohltönend, einer besseren Akustik bin ich nirgends begegnet, in keiner Kirche und in keinem Musiksaal."