Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!
„Guter Meister! Was soll ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ fragt der Mensch, den der heilige Apostel und Evangelist Lukas als „einen der Obersten“ bezeichnet. Er stellt die Frage nicht aus bloßer Neugier. Er spürt: In seinem Leben fehlt etwas Wesentliches. Die Frage bricht von ganz allein aus ihm heraus.
Der Herr beginnt Seine Antwort mit einer unerwarteten Klarstellung: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.“ Christus verlegt das Gespräch von der uns vertrauten Ebene eines „guten, anständigen Lebens“ auf eine andere Ebene – auf das Maß Gottes.
… und Er erinnert an die Gebote – genau jene, die dieser Mensch sowieso befolgt. „Das habe ich alles gehalten von Jugend auf“, sagt er. Und wahrscheinlich ist er damit auch aufrichtig. Er hat wirklich versucht, nach dem Gesetz zu leben, die Gebote zu halten. Diese Antwort offenbart die Grenze eines solchen Gesetzesgehorsams: Die Gebote hat er befolgt, aber das Herz hat sich dabei nicht verändert. Das Gesetz wurde erfüllt, aber es führte ihn nicht ins Reich Gottes. Damit zeigt der Herr: Es geht nicht um eine Liste von Regeln.
Und dann spricht Christus die Worte, die den wahren Zustand der Seele dieses Menschen offenbaren: „Eines fehlt dir noch: Verkaufe alles, was du hast, und gib‘s den Armen… und komm, folge mir nach!“ Eine solche Forderung steht gerade nicht in den Geboten! Dabei handelt es sich auch nicht um einen Aufruf zur bloßen Armut und nicht um eine Empfehlung zum Wirtschaften. Es ist eine genaue geistliche Diagnose für genau diesen Menschen. Der Herr sieht: Sein Herz ist an das gekettet, was er für seine größte Errungenschaft hält – an Reichtum und formelle Frömmigkeit. Sein Wohlstand ist für ihn nicht einfach Geld, sondern ein Beweis seiner eigenen Rechtschaffenheit vor Gott und den Menschen. Er hält daran fest wie an einer Garantie, dass Gott ihn liebt und segnet.
Und der Herr schlägt ihm nicht auf die Finger, Er sagt nicht „du bist schlecht“, sondern: „du bist nicht heil“. Du erfüllst, aber du liebst nicht. Du bewahrst, aber du gibst nicht. Du glaubst an Gott als Garant deines Wohlstands, aber nicht als den, dem man sich vollkommen überantworten kann.
Der Mensch „wurde traurig, denn er war sehr reich“. Er sucht das ewige Leben, ist aber nicht bereit, das loszulassen, was ihn an das zeitliche Leben bindet. Und es zeigt sich, dass Gott ihm nur so lange wichtig war, wie Er seinen Wohlstand bestätigte und beschützte.
Und ausgerechnet heute begeht die Kirche das Gedächtnis des Propheten Nahum, der in seinem ganzen Buch den Untergang Ninives besingt – der Stadt, die sich ebenfalls für ewig und selbstgenügsam hielt. Aber Gott spricht: „Alle deine Festungen sind wie Feigenbäume mit reifen Früchten: wenn man sie schüttelt, so fallen sie“ (Nahum 3,12). Alles, was anstelle Gottes aufgebaut und angehäuft wird – sei es Reichtum, Ansehen, religiöse Routine, sogar gute Werke ohne Liebe – all das ist Ninive, und all das wird fallen. Alles, worauf der Mensch anstelle Gottes hofft, erweist sich als nicht tragfähig.
Dieses alttestamentliche Bild ist uns nur allzu vertraut. Wir denken doch auch oft: Wenn wir die Gebetsregel durchgelesen, wenn wir die Fastenzeiten mehr oder weniger gehalten haben, dann ist „alles in Ordnung“. Aber Christus sucht nicht Makellose. Er sucht das Herz des Menschen.
Der reiche Mensch im Evangelium ist kein Sünder – er ist eine tragische Gestalt. Er ist dem Reich nahe, kann aber nicht hineingehen, weil er nicht loslassen kann, was seiner Meinung nach seinen Wert ausmacht.
„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“, spricht der Herr. Das ewige Leben kann man nicht verdienen, nicht kaufen, nicht durch gute Werke wie eine Bankeinlage ansparen. Man kann es nur annehmen oder eben „erben“ – als Geschenk von Dem, der selbst das Leben ist.
Und dieses Geschenk anzunehmen bedeutet, sich eines Tages zu entscheiden: Das loszulassen, woran wir krampfhaft festhalten (ob Geld, Ansehen, sogar unsere akribisch aufgebaute eigene Frömmigkeit) und Christus zu folgen.
Jener reiche Mensch ging traurig fort. Wir sind noch nicht fortgegangen. Wir stehen noch vor dem Herrn – mit all unserem Wohlstand, mit unserem ganzen Gepäck, unserem oft hektischen Leben, mit unseren Abhängigkeiten, mit unseren Rechtfertigungen.
Aber die Frage bleibt dieselbe: Sind wir bereit, Christus vollkommen zu vertrauen, um das ewige Leben zu erben?
Jeder von uns wird ehrlich darauf antworten müssen. Amen.