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Predigt zum Fest der Einführung der Gottesmutter in den Tempel (2025)

Roman Bannack, Priester | Zugriffe: 43

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir hören heute von einem Ereignis, das nicht in den kanonischen Evangelien zu finden ist. Das ist typisch für die Gottesmutterfeste: Das Evangelium bewahrt ein Schweigen um die Allheilige Jungfrau, und dieses Schweigen selbst spricht von ihrer Demut. Doch die Kirche hat die Überlieferung bewahrt, wie die Eltern der Jungfrau Maria, die gerechten Joachim und Anna, ein Gott gegebenes Gelübde erfüllend, ihre dreijährige Tochter in den Tempel von Jerusalem führten. Dort erhielt sie über neun Jahre ihre geistige Erziehung und wurde auf jenes große Werk vorbereitet, das sie vollbringen sollte. Die Quelle ist das Protoevangelium des Jakobus, eine alte Überlieferung, die die Kirche angenommen und diesem Fest zugrunde gelegt hat.

Wie können wir uns dieses Ereignis vorstellen? Als die Allheilige Jungfrau die Stufen zum Tempel hinaufstieg, kam ihr der Hohepriester Zacharias entgegen. Bis zum Eingang des Jerusalemer Tempels mussten fünfzehn hohe Stufen überwunden werden. Daher kommt übrigens der Name bestimmter Psalmen, die „Stufenpsalmen“ genannt werden: Die Priester sangen damals, während sie zum Gottesdienst hinaufstiegen, auf jeder der fünfzehn Stufen bestimmte Psalme. Solche „stufenhafte“ Gesangsweise hat sich bis heute in der orthodoxen Liturgie erhalten.

Aber der Sinn des Festes erschließt sich nicht in historischen Details. Im Fest der Einführung der Allheiligen Gottesmutter in den Tempel sieht die Kirche den Moment eines geheimnisvollen Übergangs: vom Tempel, von Menschenhand errichtet, zum nicht von Menschenhand geschaffenen Tempel, zur Jungfrau Maria, in der das Göttliche Wort Selbst wohnen sollte. Wie die heiligen Väter schreiben, empfängt hier der Tempel des Alten Bundes diejenige, die zum wahren Tempel wird, in dem der Herr Selbst wohnen sollte.

Der heilige Gregor Palamas sagt: Wenn man den Baum an seinen Früchten erkennt, wie sollte dann nicht diejenige, die die Schönheit und Güte Selbst geboren hat, unermesslich schöner sein als jede Kreatur? Gott hat die Allreine Jungfrau „aus allen Auserwählten eines jeden Geschlechts“ erwählt, um durch sie die gefallene Menschheit zu erneuern1.

Tatsächlich führt der Hohepriester Zacharias auf Eingebung von Oben die Jungfrau dorthin, wohin das alttestamentliche Gesetz nur ihm als Hohepriester allein den Zutritt erlaubte – und auch das nur einmal im Jahr.

Was befand sich dort, im Allerheiligsten? Darüber spricht die Lesung aus dem Epistel, die wir heute gehört haben. Dort befand sich die „Bundeslade“, in der das „goldene Gefäß mit dem Manna, der aufgeblühte Stab Aarons und die Gesetzestafeln“ aufbewahrt wurden, „über ihr die Cherubim der Herrlichkeit, die den Sühndeckel überschatteten“ (Hebr 9,4f.) – also die größte Heiligtum des alttestamentlichen Volkes Gottes. Doch nun tritt dort diejenige ein, in der das Wort Fleisch werden wird (vgl. Joh 1,14). Von diesem Moment an wird der eigentliche Sinn des alttestamentlichen Heiligtums deutlich. Nach den Worten eines zeitgenössischen Theologen2 war der Tempel ein „Abbild der Wirklichkeit, aber nicht die Wirklichkeit selbst“: Er bereitete das Volk darauf vor, dass Gott nicht nur bildlich, sondern wirklich mit den Menschen sein würde – als Immanuel, „Gott mit uns“ (Mt 1,23).

Indem der Hohepriester Zacharias die Allheilige Jungfrau ins Allerheiligste führt, scheint er das Gesetz zu übertreten. In Wirklichkeit steht vor uns der Übergang vom Alten zum Neuen Bund, und es beginnt unmittelbar die Heilsgeschichte der Menschheit. Der heilige Filaret von Moskau sagte, dass das Ebenbild Gottes im gefallenen Menschen eine Hoffnung auf Seligkeit blieb3. Und heute wird diese Hoffnung Wirklichkeit: Die Jungfrau tritt in den Tempel ein, und mit ihr eröffnet sich die Möglichkeit einer Erneuerung der menschlichen Natur.

Vor uns steht das reine, vollkommen Gott geweihte Leben der Jungfrau Maria. Die Allheilige Jungfrau wurde nicht allein deshalb zum Tempel Gottes, weil sie erwählt wurde, sondern auch, weil sie – beginnend im Elternhaus und ihr ganzes Leben lang – sich in der Einfachheit und Reinheit des Herzens darauf vorbereitete, ihr entscheidendes „Mir geschehe nach Deinem Wort“ (Lk 1,38) zu sprechen. Das sagt uns, wie der Mensch geschaffen ist – der Mensch kann nämlich bei Gott im Allerheiligsten verweilen und selbst zu Seiner Wohnstatt werden. Aber es sagt uns auch, dass der Mensch dazu rein sein und sich Ihm vollkommen hingeben muss.

Der alttestamentliche Tempel war Abbild und Erwartung. Und heute gedenken wir diejenigen, in der diese Erwartung erfüllt wurde. Und jedem von uns ist sein eigenes Maß der Teilhabe an diesem Geheimnis eröffnet, in der Bereitschaft, Gottes Willen anzunehmen, wie ihn die Allheilige Jungfrau annahm.

Möge der Herr uns durch die Fürbitten der Gottesmutter stärken, damit wir den kommenden Christus in Reinheit und Freude empfangen. Amen.


  1. Hl. Gregorios Palamas, Homilie 57 am Sonntag der heiligen Vorväter 

  2. Protopresbyter Boris Bobrinskoy, "La Compassion du Père" (Das Mitleid des Vaters) 

  3. Hl. Bischoft Filaret von Moskau, Homilie zur Einführung der Gottesmutter in den Tempel 

Geschrieben von Roman Bannack, Priester