Weihnachtsbotschaft seiner Heiligkeit Kyrill, des Patriarchen von Moskau und ganz Russland, an die Bischöfe, Priester, die Mönche und Nonnen und alle treuen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche

Im Herrn geliebte hochgeweihte Bischöfe, ehrwürdige Priester und Diakone, ihr gottliebenden Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!

Heute sind unsere Kirchen angefüllt mit Menschen, die gekommen sind, um das Neugeborene Gotteskind - Christus, unseren Heiland - und Seine Allreine Mutter, die Jungfrau Maria, zu preisen.

Die Geburt Christi ist ein zentrales Ereignis der gesamten Menschheitsgeschichte. Der Mensch war immer auf der Suche nach Gott; doch in Fülle offenbarte Gott Sich Selbst der Menschheit einzig in der Menschwerdung Seines Einziggezeugten Sohnes. Mit der Ankunft des Gottes- und Menschensohnes erfuhr die Welt, dass Gott die Liebe ist und nicht lediglich die Höchste Macht; Gott ist Gnade, und nicht etwa nur der Rächer; Gott ist die Quelle des Lebens und der Freude, und nicht nur der gestrenge Richter; Gott ist die Heilige Dreifaltigkeit, Deren inneres Gesetz ebenso die Liebe ist - und durchaus nicht etwa der einsame Herrscher der Welt.

Heute begehen wir das Ereignis, das den Lauf der gesamten Menschheitsgeschichte von Grund auf gewandelt hat. Gott taucht in die Tiefen des menschlichen Lebens ein, Er wird einer von uns, nimmt die ganze Schwere unserer Sünden, unseres menschlichen Unvermögens und unserer Schwächen auf Sich und bringt sie nach Golgatha, um die Menschen von dieser unerträglichen Bürde zu befreien. Nunmehr ist Gott nicht irgendwo da, im fernen Himmel, sondern hier, mit uns und unter uns. Ein jedes Mal bei der Feier der Göttlichen Liturgie sprechen wir die Worte: “Christus ist unter uns!” - und die Antwort ist: “Er ist es, und Er wird es sein!”. Dies ist ein lebendiges Zeugnis der Gegenwart des fleischgewordenen Gottes Selbst - Christi, unseres Heilandes - unter Seinen Getreuen. Indem wir regelmäßig an Seinem Heiligen Leib und Blut kommunizieren, indem wir uns anstrengen, Seine Gebote zu halten, treten wir in eine wirkliche Gemeinschaft mit Ihm, unserem Erlöser, und erlangen die Vergebung von Sünden.

Die christgläubigen und Ihm treuen Jünger sind dazu berufen, noch zu Zeiten des irdischen Lebens Zeugen des in Christus offenbarten Himmlischen Königreichs zu sein. Uns ist eine große Ehre zuteil geworden - in dieser Welt so zu handeln, wie unser Lehrmeister und Gott handelte, durch die Kraft Christi im Widerstand gegen die Sünde und das Böse unerschütterlich zu sein, im eifrigen Tun von guten Werken nicht nachzulassen, und in der täglichen Anstrengung, unsere sündige Natur zu einem neuen, gnadenerfüllten Menschen zu verklären, nicht zu verzagen.

Durch Christus, unseren Heiland, ist ein unverrückbares, absolutes Kriterium für die Echtheit unseres Verhältnisses zu Gott festgelegt worden - das ist unser Nächster. Indem wir uns die Schwächen anderer Menschen auferlegen und ihren Schmerz, ihre Not teilen, indem wir mit den Unglücklichen und Benachteiligten leiden, erfüllen wir das Gebot Christi (Gal. 6:2) und werden unserem Erlöser ähnlich, der unsere Krankheiten und Schmerzen trug und auf Sich nahm (Jes. 53:4).

Es ist unmöglich, an diesem freudigen und lichten Tag der Geburt Christi, an dem jedes Geschöpf in Erstaunen an die Krippe des Gotteskindes tritt, die anderen zu vergessen. Jene große Gnade, die wir heute in unseren Kirchen erfahren, muss sich reichlich auch auf die ergießen, welche noch immer außerhalb der Kirche im Strudel der Gewalten dieser Welt leben, anstatt nach Christus (Kol. 2:8). Doch wenn wir kein Entgegenkommen zeigen, so kann es sein, dass diese Frohe Botschaft nicht bis zu ihnen dringt; wenn wir selbst nicht unsere Herzen öffnen, um die uns erfüllende Freude zu teilen, kann es sein, dass sie jene nie berühren wird, die sie noch nicht spüren, dabei aber bereit wären, sie anzunehmen.

Durch die Menschwerdung des Gottessohnes ist die menschliche Natur in nie erklommene Höhen emporgehoben worden. Ein jeder von uns ist nicht nur “nach Gottes Ebenbild” erschaffen, sondern durch Christus jetzt ebenso in die Gottessohnschaft getreten: wir sind nun schon “nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes” (Eph. 2:19). Von dieser Gottesnähe und Freimütigkeit Gott gegenüber kündet auch das Gebet des Herrn, in dem wir uns an unseren Schöpfer wie an unseren eigenen himmlischen Vater wenden. Jedes beliebige Menschenleben ist von unermeßlichem Wert, denn jedes Menschenleben ist mit der Menschwerdung, dem Leben, dem Tod und der Auferstehung des Eingeborenen Gottessohnes erkauft. All das ruft uns umso mehr dazu auf, jedem Menschen mit besonderer Ehrfurcht und Aufmerksamkeit zu begegnen, ganz unabhängig davon, wie sehr er sich von uns unterscheiden mag. Einem Gedanken des Moskauer heiligen Bischofs Filaret (Drosdow) zufolge ist “die Liebe eine lebendige und tatenfrohe Teilnahme am Wohlergehen des Nächsten”. Zu dieser tatenfrohen Liebe möchte man in diesen freudigen Tagen der Geburt Christi alle besonders aufrufen: seid, nach einem Wort des Apostels Paulus, in der Bruderliebe herzlich gegeneinander, in der Ehrerbietung einer dem anderen vorangehend, im Fleiße nicht säumig, inbrünstig im Geist, dem Herrn dienend! (Röm. 12:10-11, Hebr. 13:16).

Von Herzen grüße ich euch zum großen Fest der Geburt Christi. Der Gott der Liebe und des Friedens (2 Kor. 13:11) schenke unserem Volk und einem jeden von uns Frieden und Wohlergehen im Neuen Jahr.

+Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland
Christi Geburt
2013/2014
Moskau