Weihnachtsbotschaft Seiner Heiligkeit Kyrill, des Patriarchen von Moskau und ganz Russland, an die Bischöfe, Priester, die Mönche und Nonnen und alle treuen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche

Darin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden,
dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat,
damit wir durch Ihn leben möchten.

(1 Joh 4,9) 

Hochgeweihte Bischöfe, ehrwürdige Väter, ihr ehrwürdigen Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!

Aus einem Herzen, das erfüllt ist von der Freude über den im Fleische erschienenen Sohn Gottes, wende ich mich an euch alle und beglückwünsche euch zum lichten und lebendig machenden Fest der Geburt unseres Herrn und Gottes Jesus Christus.

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Lk 2,14). Indem wir jährlich wieder und wieder die unbeschreibliche Herabkunft des Erretters zu uns verherrlichen, sind wir bestrebt, wie einst die Hirten zu Bethlehem, welche vom Engel von der „großen Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll“ (Lk 2,10) vernommen haben, den Heiland mit geistlichem Auge wahrzunehmen, dessen Erscheinen die ruhmreichen Propheten vorhergesagt und das eine Vielzahl von Männern und Frauen herbeigesehnt hat.

Und nun kommt der von allen Nationen Ersehnte, wie ihn der Prophet Haggai nennt (vgl. Hagg 2,7), entäußert Sich Selbst, nimmt die Gestalt eines Knechts an und wird wie ein Mensch (vgl. Phil 2,7). Der Gebieter des Alls erwählt sich nicht den Palast eines Kaisers, nicht das Haus eines der Herren dieser Welt, nicht das Gemach der Reichen oder Berühmten. Nicht einmal in einer Herberge findet sich ein Platz für Ihn. Der Sohn Gottes kommt in einer Höhle, in der man Vieh hält, zur Welt, und eine Krippe, aus der die Tiere fressen, wird Ihm zu einer Wiege.

„Was ist ärmer als eine Höhle, was ist demütiger als Windeln, aus denen die Fülle der Gottheit erstrahlte?“ Indem Er für das Mysterium unserer Errettung die äußerste Armut wählte (vgl. Hypakoe des Fests Christi Geburt), lehnt Christus bewusst die Werte ab, die in unserer Welt als etwas Bedeutendes gelten: Macht, Reichtum, Ruhm, vornehme Abstammung und sozialer Stand. Er bietet uns eine andere Gesetzmäßigkeit des Lebens, nämlich die Gesetzmäßigkeit der Demut und Liebe, welche Stolz und Bosheit überwindet. Demnach wird die menschliche Schwäche in Verbindung mit der Gnade Gottes zu jener Kraft, der die Mächtigen und Starken dieser Welt nicht widerstehen können. Die Kraft Gottes offenbart sich nicht in irdischer Größe und weltlichem Wohlergehen, sondern in der Einfachheit und der Demut des Herzens.

Der heilige Seraphim von Sarow sagt, dass „der Herr das von Liebe zu Gott und zum Nächsten erfüllte Herz sucht – das ist der Thron, auf dem Er zu sitzen beliebt… „Sohn, gib Mir dein Herz“, spricht Er, „und für das Übrige werde Ich Selbst für dich sorgen“, denn im Herzen eines Menschen findet das Reich Gottes Platz“ (Gespräch über das Ziel des christlichen Lebens). Der Herr verachtet nicht die Bettler und Obdachlosen, Er verschmäht nicht die, die wenig Geld und eine wenig angesehene Arbeit haben, und noch viel weniger achtet Er diejenigen Menschen gering, die körperliche Gebrechen haben oder schwerkrank sind. All diese Dinge für sich genommen lassen den Menschen Gott weder näher noch ferner sein, und sie sollten ihn folglich nicht in Mutlosigkeit verfallen lassen oder zum Grund für verhängnisvolle Verzweiflung werden. Der Erretter sucht uns selbst auf. „Gib mir, mein Sohn, dein Herz“ ruft Er uns auf (Spr 23,26).

Das wunderbare Fest der Geburt Christi erinnert uns an die Notwendigkeit, unbeirrt Christus nachzufolgen, der gekommen ist, damit wir das Leben haben und es im Überfluss haben (vgl. Joh 10,10), und der Selbst der einzig rechte Weg, die unwandelbare Wahrheit und das wahre Leben ist (vgl. Joh 14,6). Unabwendbar ausstehenden Schwierigkeiten mögen uns nicht schrecken, und die auf unser Los fallenden Prüfungen mögen uns nicht brechen, denn Gott ist mit uns! Gott ist mit uns, und die Furcht hat keinen Platz mehr in unserem Leben. Gott ist mit uns, und wir erlangen Seelenfrieden und Freude. Gott ist mit uns, und mit fester Hoffnung auf Ihn gehen wir auf unserer irdischen Wanderung voran.

Wenn ein Mensch Christus nachfolgt, so geht er gegen die Gewalten dieser Welt. Er unterwirft sich nicht den ihm begegnenden Verlockungen und beseitigt entschieden die ihn auf seinem Weg behindernden Schranken der Sünde. Denn es ist ja die Sünde, die uns von Gott trennt und unser Leben wahrhaft bitter werden lässt. Sie ist es, die uns das Licht der göttlichen Liebe verdeckt, uns in eine Vielzahl von verschiedensten Nöten wirft und unsere Herzen gegenüber anderen Menschen erhärten lässt. Überwunden werden aber kann die Sünde nur durch die Gnade des Heiligen Geistes, die uns durch die Kirche zuteilwird. Die Kraft Gottes verklärt unsere innere Welt und hilft, so es der Wille des Herrn ist, auch die äußere Welt zu verändern. Deshalb verlieren ja die, welche auf die eine oder andere Weise von der Einheit der Kirche abfallen, gleich einem verdorrenden Baum die Fähigkeit, wahrhaft gute Früchte zu tragen.

Mit einem besonderen Wort möchte ich mich heute an die Menschen in der Ukraine wenden. Der Bruderkrieg, welcher auf der ukrainischen Erde ausgebrochen ist und der in den Herzen der Menschen nur Hass sät, darf die Kinder der Kirche nicht untereinander trennen. Ein wirklicher Christ kann weder seinen Nächsten, noch die ihm fernen Menschen hassen. „Ihr habt gehört“, wendet Sich der Herr an die, welche Ihn hören, „dass gesagt ist: «Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen!» Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde… auf dass ihr Kinder eures Vaters im Himmel seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute“ (Mt 5,43-45). Diese Worte des Erretters mögen uns allen eine Lebensanweisung sein, und die Bosheit und Feindseligkeit gegenüber anderen niemals einen Platz in unseren Herzen haben.

Ich rufe die Kinder der gesamten, viele Völker umfassenden Russisch-Orthodoxen Kirche dazu auf, inständig für die alsbaldige Beendigung der Feindseligkeiten in der Ukraine zu beten, für die Heilung sowohl der körperlichen, als auch der seelischen Wunden, die der Krieg den Menschen zugefügt hat. Wir wollen in der Kirche, aber auch zu Hause Gott darum bitten; wir wollen auch für jene Christen beten, die fernab unserer Länder leben und unter bewaffneten Konflikten zu leiden haben.

In dieser lichten Weihnacht und in den darauffolgenden heiligen Tagen wollen wir unseren Erretter und Herrn lobpreisen und erheben, Ihn, der aufgrund Seiner Menschenliebe geruhte, in diese Welt zu kommen. Wie die biblischen Weisen wollen wir dem Gotteskinde Christus Gaben darbringen: anstelle von Gold unsere aufrichtige Liebe, anstelle von Weihrauch eifriges Gebet, anstelle von Myrrhe ein wohlwollendes und fürsorgliches Verhältnis zu unseren Nächsten und denen, die uns fern sind.

Nochmals beglückwünsche ich euch alle, meine Lieben, zum lichten Fest der Geburt Christi, ebenso zum bereits eingetretenen Neuen Jahr, und wünsche euch im Gebet reiche Gnade und Erbarmungen vom barmherzigen Herrn Jesus. Amen.

+Kyrill, Patriarch von Moskau und ganz Russland
Christi Geburt
2015/2016
Moskau