Russische Menschen, die aus diplomatischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Gründen in den Staaten Westeuropas lebten, bildeten bereits im 17. Jahrhundert dort die ersten orthodoxen Gemeinden.
In Dresden gab es schon in den Jahren 1813/1814 eine Kapelle für den orthodoxen Gottesdienst in einem Saal des Brühlschen Palais, in dem damals der russische Gouverneur Fürst Repnin-Wolkonskij residierte. Im Palais des Prinzen Maximilian auf der Ostraallee war eine weitere orthodoxe Hauskapelle eingerichtet worden.
Die Anfänge einer eigenständigen russisch-orthodoxen Kirchgemeinde in Dresden gehen auf das Jahr 1860 zurück, als von den hier lebenden Russen der Wunsch geäußert wurde, eine Hauskapelle einzurichten. Im Jahre 1861 wurde mit dem Segen des St. Petersburger Synodes in einem Privathaus in der Sidonienstraße der erste Gebetsraum eingerichtet. 1862 zählte die Gemeinde bereits 358 Mitglieder. Von Anfang an bildete sich diese Gemeinde nicht als eine Privatvereinigung, sondern als Teil der Russisch-Orthodoxen Mutterkirche. Noch im selben Jahr wurde ein Kirchenchor gegründet, der interessanterweise zunächst aus vier Sängern der Dresdner Oper bestand. Im Jahre 1864 zog die Gemeinde in ein Haus in der Beuststraße 4, heute Mary-Wigman-Straße, in der Nähe der Bürgerwiese, das für die Dauer von sechs Jahren gemietet werden konnte. Diese Hauskirche wurde von Priester Nikolai Juchnowski zu Ehren des Einzuges des Herrn in Jerusalem geweiht.
Simeon von Wikulin, Gründer der nach ihm benannten Stiftung, verfügte „die immerwährende eigentümliche Überlassung des Stiftungsgrundstückes mit allen darauf befindlichen Baulichkeiten, insbesondere dem Kirchengebäude, an die in Dresden aufenthältlichen Bekenner der orthodoxen russischen Kirche zu Gunsten dieser letzteren und für deren gottesdienstliches Bedürfnis.
Zu den bekannten Gemeindeangehörigen dieser Zeit zählten der Gesandte der Russischen Mission am Sächsischen Hof Wassili Kotzebue, der Geheimrat Simeon von Wikulin und der Sekretär der Mission Alexander Wollner. Die Gemeindemitglieder verfolgten jedoch leidenschaftlich den Gedanken der Errichtung eines eigenen Gotteshauses. Die Schenkung eines Grundstückes durch Alexander Wollner, die überaus großzügige Spende Simeon von Wikulins, der unentgeltliche Entwurf des Kirchengebäudes durch den Architekten des Zarenhofes Harald Julius von Bosse, die Unterstützung des Zarenhofes selbst sowie die Bemühungen vieler anderer Spender und Helfer ermöglichten schließlich den Neubau eines russischorthodoxen Gotteshauses in der Nähe der Russischen Mission in Dresden.
Am 6. Juni 1874 konnte die Kirche schließlich durch den Geistlichen der Wiener Botschaftskirche Erzpriester Rajewski, den Erzpriester Kustodijew aus Pest (heute Budapest), den Priester Palisadow aus Karlsbad und den Dresdner Priester Rosanow auf den Namen des Heiligen Simeon vom wunderbaren Berge, des himmlischen Schutzpatrons des Simeon von Wikulin, geweiht werden.
Alexander Rosanow mit Ehefrau Antonina (Dresden, um 1869
Alexander Rosanow stammte aus St. Petersburg. Er und seine Frau Antonina (1842-1919) hatten 7 Kinder, zwei von ihnen starben im jüngeren Kindesalter. Einer der drei Söhne, Nikolaj, wurde auch Priester. Die Nachkommen von Alexander Rosanow waren sehr begabte Persönlichkeiten: hochstudierte Physiker, Hydrotechniker, Psychologen, Biologen, Ärzte. Einige von ihnen waren Professoren und Dozenten an den Hochschulen von St. Petersburg.
Die in Dresden geborene Tochter Alexandra (1876-1942) war bekannt als herausragende Pianistin und hochtalentierte Pädagogin am St. Petersburger Konservatorium, wo sie glänzende Schüler erzogen hat. 1912 wurde sie zur Professorin ernannt. 1917-1920 unterrichtete Frau Prof. Rosanowa als erste Musiklehrerin den damals dreizehnjährigen Dmitrij Schostakowitsch.
Erzpriester der Russisch-Orthodoxen Kirche Jakow Smirnow (1855-1936), der nach dem Tode Alexander Rosanows die Gemeinde geistlich weiter betreute und seine Frau Maria (1866-1953), die älteste Tochter Rosanows.
Antonina Rosanowa, die Witwe von Alexander Rosanow, mit Enkeltochter Elena
Alexandra Rosanowa (vorne links) und Maria Rosanowa (vorne rechts), Töchter des Erzpriesters Rosanow
Nikolaj Rosanow mit seiner Gattin an der Grabstätte des Urgroßvaters
Die Gemeinde hält Kontakte zum Urenkel des Erzpriesters, dem Professor für Physik in St. Petersburg, Mitglied der Akademie der Wissenschaften Russlands, Nikolaj Rosanow, der mehrmals zu Physiktagungen in Dresden weilte, sowie zu dessen Schwester Frau Prof. Natalia Rosanowa - Sagrjadskaja. Beide haben der Gemeinde sehr interessante Informationen, Archivfotos und Schriften übergeben. Der andere Zweig der Familie, die Nachfahren der Tochter Alexander Rosanows, Maria, lebt in Paris.
Fjodor Dostojewskij (1880)
Dostojewskijs Tochter Ljubow (1869-1926)
Fjodor Dostojewskij, einer der bekanntesten russischen Schriftsteller, besuchte Dresden mehrmals und lebte 1867, 1869 - 1871 mit seiner Familie in Sachsens Hauptstadt. Er verfasste hier sein weltberühmtes Werk „Die Dämonen" und andere Schriften. Nirgendwo im Ausland hielt sich Dostojewskij so lange auf, wie in Dresden. Über ihre Aufenthalte hier schrieb Frau Dostojewskij in den "Erinnerungen" und im "Tagebuch 1867". Im September 1869 wurde Dostojewskijs Tochter in Dresden geboren und im Januar 1870 in der russischen Gemeinde von Erzpriester Alexander Rosanow auf den Namen Ljubow getauft. In den Kirchenarchivbüchern findet sich dazu eine Eintragung.
Faksimilie einer Eintragung im Geburtenregister der Russisch-Orthodoxen Kirche zu Dresden über die Geburt und Taufe von Ljubow Dostojewskaja; Klick auf Bild für größere Ansicht inkl. deutscher Übersetzung.
Nach der Weihe des russischen Gotteshauses in Dresden wurde die Gemeinde der russisch-orthodoxen Kirche durch die Sächsische Regierung als gleichberechtigt mit den anderen christlichen Konfessionen anerkannt. Als Interessenvertreter der Kirche wurde durch die Russische Regierung der jeweilige Vorsteher des Gotteshauses eingesetzt.
Einen gravierenden Einschnitt in das Leben der Gemeinde brachte der l. Weltkrieg. Auf Anweisung der kaiserlich-deutschen Regierung wurde die Kirche geschlossen. Die Aufsicht über das Gebäude und das darin befindliche Inventar wurde einem Polizeirat übertragen.
Die Dresdner Polizeibehörde erklärte am 30. März 1915, „dass gewisse sicherheitspolitische Bedenken gegen die Wiederaufnahme des Gottesdienstes insofern bestehen, als der in russischer Sprache stattfindende Gottesdienst sich nicht genügend darauf würde überwachen lassen, ob er etwa in antideutschem Sinne abgehalten und für Fürbitten für den Sieg der russischen Waffen benutzt werden wird."
Erst 1921 wurden die Schlüssel der Kirche auf Grund eines staatlichen Beschlusses an den Erzpriester Johannes Mosharowski wieder ausgehändigt. Erzbischof Eulogius, der nach der Ernennung zum Diözesanbischof durch den Moskauer Patriarchen Tichon die russischen Gemeinden in Westeuropa betreute, führte Mosharowski in sein Amt ein.
Pjotr Stolypin
Die Gemeinde verfügt über Archivdokumente seit 1860. Viele historisch bekannte Namen trifft man in den Eintragungen. Den Kirchenbüchern über die Taufe ist zu entnehmen, dass der 1862 in Dresden geborene Pjotr Stolypin hier in der Gemeinde 1863 getauft wurde. Er war der letzte große Reformator in der Geschichte des russischen Kaiserreiches, ab 1906 Vorsitzender des Ministerrates Russlands. 1911 wurde er in Kiew durch einen Terroristen ermordet.
Sergej Rachmaninow
Hier in Dresden komponierte er einige bedeutende Werke, wie z.B. die 2. Sinfonie oder "Insel der Toten"; außerdem bereitete er sich hier auf seine Weltkonzertreisen vor. Das 3. Klavierkonzert wird oftmals als Rachmaninows Dresdner Konzert bezeichnet. In Dresden schloss er Freundschaft mit dem bekannten Maler und Grafiker Robert Sterl, der sein Porträt im April 1909 zeichnete. Rachmaninow hielt sich auch danach noch mehrere Male für kurze oder längere Zeit in Elbflorenz auf, zum letzten Mal 1928.
Alle Mitglieder der Familie Rachmaninow sowie der Familie von Satin, seiner Schwiegereltern, gehörten zur russischorthodoxen Gemeinde und nahmen am kirchlichen Leben aktiv teil. Die ältere Tochter des Komponisten, Irina, wurde in der Russisch-Orthodoxen Kirche in Dresden am 24. September 1924 mit dem Fürsten Pjotr Wolkonskij feierlich getraut, worüber eine Eintragung in den Kirchenbüchern vorhanden ist.
Für die Kinder russischer Flüchtlinge wurden Bibelstunden und Unterricht in russischer Sprache und russischer Geschichte gestaltet. Dieser Unterricht fand in den Gemeinderäumen der benachbarten Lukaskirche statt - ein schöner Beweis für den konfessionsüberschreitenden nachbarlichen Kontakt schon zu jener Zeit, der sich bis heute erhalten hat.
Seit Bestehen der Kirche stellte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten des Zarenreiches jährlich 1500 Goldrubel für die Unterhaltung der Kirche zur Verfügung. Nach dem revolutionären Umsturz in Russland entfiel jedoch jegliche staatliche Unterstützung für die Kirchen. Im Gegenteil: dort begann der Terror gegen die Institution der Kirche.
Deshalb sah sich anfangs der 30er Jahre der Gemeindevorstand der Dresdner Kirche genötigt, sich mit der Bitte um finanzielle Hilfe an die Gemeinde selbst zu wenden. Das Kirchenjournal aus den Jahren 1932 bis 1935 enthält eine vom Geistlichen Mosharowski aufgestellte Liste mit 52 Namen und Adressen von Gemeindemitgliedern, an die ein Aufruf zu einer Geldspende abgesandt worden war. An der gleichen Stelle findet sich auch der Entwurf eines Briefes an den Griechischen Generalkonsul in Dresden, welcher Glückwünsche zum Weihnachtsfest mit dem Dank an die in Dresden wohnenden orthodoxen Griechen für die bereits seit 12 Jahren geleistete großzügige Unterstützung verband. Eine Liste mit 51 Namen der Dresdner orthodoxen Griechen beweist, dass dieser Dresdner orthodoxen Gemeinde in jener Zeit mehr als 100 Familien angehörten, unter ihnen Hochschullehrer, Ärzte, Apotheker, Unternehmer und Obersetzer. Die Dresdner Gemeinde unterstand damals der Jurisdiktion des Moskauer Patriarchen.
Süd-östliche Ansicht der Kirche (um 1900)
In den 20er Jahren bildete sich aus den Reihen der aus Russland emigrierten Geistlichen eine kirchliche Spaltungsbewegung unter der Führung des sogenannten Karlowatzer Synodes, die sich später zur Russisch Orthodoxen Kirche im Ausland mit dem Zentrum in New York formierte. Als ihren Vertreter setzte die nationalsozialistische deutsche Regierung Erzpriester Tichon als Bischof von Berlin und Deutschland ein, der zunächst von Erzbischof Euglogius zum Vikarbischof geweiht worden war, sich dann aber von ihm lossagte und dem Karlowatzer Synod unterstellte.
Mit der Machtergreifung der National-Sozialisten brachen auch für die orthodoxen Gläubigen schwere Zeiten an.
Obwohl die Gemeinde der russischen Emigranten fast geschlossen auf der Seite des Metropoliten Eulogius (der inzwischen von Berlin nach Paris übersiedelte) stand, welcher als einziger Exilbischof über eine rechtmäßige kanonische Einsetzungsurkunde verfügte, wurde vom Preußischen Kultusministerium auf die Dresdner Gemeinde starker Druck ausgeübt, um sie zum Übertritt vom Moskauer Patriarchat zur Auslandskirche zu bewegen.
In einem Aktenvermerk zu einer Beratung am 4. August 1937 im Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten heißt es:
„Warum wir diese Einigung eben in der Konzilkirche wünschen, von rein politischem Standpunkt, ist ebenso verständlich, weil es bekannt ist, dass eben in der Konzilkirche die aktivsten rechtsstehenden Elemente, die am stärksten national Denkenden gesammelt sind, die am meisten befähigt sind, am antibolschewistischen Kampf teilzunehmen, während in den Reihen der Herde des Metropoliten Eulogius sich an führender Stelle sehr viele befinden, die nach links neigen, Leute mit äußerst liberalen Anschauungen, die am aktiven Kampf gegen den Bolschewismus und alle ihm verwandten Strömungen überhaupt nicht interessiert sind. Ebenso ist der deutschen Regierung der Einfluss dieser Pariser Kreise auch deshalb unerwünscht, weil diese gleichzeitig mit ihrer feindlichen Haltung gegenüber der Orthodoxen Konzilkirche auch Feinde des Dritten Reiches und prinzipielle Gegner der Harmonie zwischen dem christlichen Glauben und nationalsozialistischen Weltanschauung sind."
Diesem widerstand die Dresdner Gemeinde jedoch mehrere Jahre in der Hoffnung auf die baldige Vereinigung der Auslandskirche mit der Moskauer Mutterkirche. Auf einer Gemeindevollversammlung am 31. Januar 1938 wurde der Vorschlag des Ministeriums für Kultus, zur Jurisdiktion der Auslandskirche überzutreten, lebhaft diskutiert. Die Gemeinde stimmte jedoch mehrheitlich für den Verbleib in der Jurisdiktion des Metropoliten Eulogius. Auf Grund eines von Reichskanzler Adolf Hitler am 25. Februar 1938 verabschiedeten Gesetzes und einer Durchführungsverordnung dazu vom 5. Mai 1939 wurden der Grundbesitz und das gesamte Vermögen der russischen Kirche in Dresden der orthodoxen Auslandskirche überschrieben, die dem nationalsozialistischen Regime genehm war und in der die orthodoxen Gemeinden gleichgeschaltet werden sollten, auch im Hinblick auf die geplante Erweiterung des Deutschen Reiches nach Osten. Nach dieser Enteignung wurde die Gemeinde 1939 der Deutschen Diözese der Auslandskirche eingegliedert. Mehrere Gemeindemitglieder, darunter Prof. Stepun und Fürst Obolenski, traten daraufhin aus. Damit der Gemeinde aus. Damit wurde die private Simeon-von Wikulin-Stiftung willkürlich enteignet.
Während des 2. Weltkrieges wurde die Kreuzprozession zum Osterfest verboten. Nach dem Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 blieb die russische Kirche inmitten zerstörter Häuser wie durch ein Wunder erhalten. Die Bombenschäden am Gebäude waren jedoch beträchtlich. Aber auch in der beschädigten Kirche ging das Gemeindeleben weiter. Trauungen, Taufen und Aussegnungen der Verstorbenen fanden statt. Viele der russischen Emigranten, die den Krieg überlebt hatten, blieben in Dresden. Unbehelligt von der deutschen Verwaltung und der sowjetischen Besatzungsmacht begann wieder das religiöse Leben. Erzpriester Sergej Samoilowitsch bat in einem ergreifenden Brief an den Moskauer Patriarchen um die Rückkehr in den Schoß der Mutterkirche: „Wir bereuen vom ganzen Herzen, Eure Heiligkeit, unsere unfreiwillige Abspaltung von der Russisch-Orthodoxen Mutterkirche... Nach der maßlosen Unterdrückung, den Entbehrungen und Verfolgungen hier in der Fremde bitten wir Eure Heiligkeit um Wiedervereinigung und Aufnahme unter Ihre Heilige Obhut." Dieser Bitte wurde entsprochen und seitdem gehört die Dresdner Gemeinde wieder der Mutterkirche, dem Moskauer Patriarchat, an.
Süd-östliche Ansicht der Kirche (April 1950), nach der Zerstörung am 13. Februar 1945